Als Kinder sind wir neugierig, sensibel, verletzlich und natürlich leicht zu beeinflussen. Wir saugen alles um uns herum auf wie ein Schwamm, während sich die Basis für unsere späteren Beziehungen zu anderen bildet. Wir verehren die Menschen, die für uns verantwortlich sind. Da wir hilflos sind, haben wir keine andere Wahl, als ihnen absolute Macht zu geben. Mit dieser Macht können sie uns entweder zu einem unabhängigen Leben führen oder uns für ihr eigenes Ego benutzen. Narzissten entscheiden sich für Letzteres.
Diese Machtposition beginnt natürlich bei den Eltern, kann aber auch auf Onkel und Tanten, Freunde der Familie, Lehrer oder Sporttrainer übertragen werden. Für Narzissten verstärkt es ihr Machtgefühl, wenn beeinflussbare junge Menschen zu ihnen aufschauen. Sie können ihre schamlose Rolle als „weise Führer“ auf Kosten des Kindes ausleben. Sie glauben, dass ihre Machtposition ihnen das Recht gibt, das Kind zu beurteilen, zu kontrollieren und herabzuwürdigen, wenn es nicht ihren Erwartungen entspricht. In ihrer grandiosen Vorstellung können sie die ihnen übertragene Verantwortung ausnutzen, um ihr Ego zu stärken.
Das Gefährliche (und Traurige) daran ist, dass dies außerhalb des Bewusstseins des Kindes liegt. Es geschieht zu einem Zeitpunkt, zu dem das Kind noch wenig davon hat. Wahres Bewusstsein beginnt erst im Erwachsenenalter. Solange Kinder verletzlich und abhängig sind, können sie unwissentlich zum Objekt narzisstischer Versorgung werden. Wenn dies lange genug geschieht, kann es so normal werden wie die Luft, die sie atmen. Das Kind wird manipuliert und in eine Rolle der ständigen Verehrung und Abhängigkeit gedrängt.
Bei Führung geht es darum, anderen den Weg zu zeigen, damit sie ihn gehen, ihn hinter sich lassen und schließlich ihren eigenen Weg finden können. Narzissten hindern die Zielperson daran, sich zu differenzieren. Sie unterstützen das Kind nur innerhalb der Grenzen der Beziehung und nur so lange, wie das Kind seine Rolle erfüllt und narzisstische Versorgung bietet. Der Narzisst projiziert seine Ego-Bedürfnisse auf das Kind und erwartet, dass sich das Kind an ihn anpasst, anstatt seine Bedürfnisse beiseite zu schieben, um dem Kind zu helfen, zu wachsen.
Diese Rollenumkehr ist der Kern einer Beziehung zwischen einem Narzissten und einem Kind, die zu einer Entwicklungsstörung beim Kind führt und es anfälliger für Narzissmus macht. Das Kind wächst mit der Überzeugung auf, dass es in Beziehungen darum geht, eine bestimmte Rolle zu spielen und sich den Bedürfnissen anderer anzupassen. Dies ist eine der größten Lügen, die man manchen Kindern erzählt: dass Abhängigkeit ein Teil des Lebens ist und niemals endet. Diese Lüge kann sich bis ins Erwachsenenalter fortsetzen.
Manche Menschen sind vielleicht schon in jungen Jahren unwissentlich in ein narzisstisches Regime geraten und/oder sie sind emotional sensible Menschen. Empathen, wie sie genannt werden:
Die emotionale Welt eines Empathen ist reichhaltig. Sie sind Künstler und Träumer. Sie inspirieren andere mit ihrer Energie und Lebensfreude. Sie sind Heiler und in der Regel sehr kreativ und spirituell. Sie können den Tag eines Menschen allein dadurch erhellen, dass sie sie selbst sind. Doch dieser Reichtum hat seinen Preis:
Aus all diesen Gründen sind Empathen perfekte Zielpersonen für Narzissten. Ihre innere Schönheit, ihre schwachen Grenzen, ihre beeinträchtigte innere Stärke und ihr starkes Bedürfnis nach Verbindung machen sie zu einer Goldgrube für narzisstische Versorgung. Um die Oberhand zu gewinnen, muss der Narzisst lediglich das emotionale System des Empathen bombardieren und ihn dann dazu zwingen, seinen Forderungen nachzukommen.
Um die oft turbulente innere Welt eines Empathen richtig zu managen, braucht es viel Geschick und Unterstützung. In vielen Familien – vor allem in konservativen, traditionellen oder missbräuchlichen – kann das Bedürfnis des Empathen nach tiefem Verständnis und Unterstützung vernachlässigt werden. Noch schlimmer ist es für Männer, wenn sie für ihre „Weichheit“ beschämt werden.
Diese unerfüllten Bedürfnisse und die Unfähigkeit, ihre emotionalen Stürme zu überstehen, können dazu führen, dass Empathen ein geringes Selbstwertgefühl entwickeln und ein überwältigendes Verlangen nach Liebe verspüren, ohne wirklich zu wissen, warum. Der Narzisst riecht das wie ein Hai das Blut und stürzt sich darauf. Der Charme des Narzissten kann für Empathen berauschend und unwiderstehlich sein. Der Narzisst kann dem Empathen Struktur bieten, auch wenn diese Struktur unterdrückend ist und vor allem dem Narzissten zugute kommt.
Sich als Empath und/oder als Kind eines narzisstischen Regimes zu erkennen, kann dir helfen zu verstehen, wie deine Herkunft dein bisheriges Leben geprägt hat, und dir auch zeigen, dass es nicht deine Schuld ist. Vor allem kann es dir helfen, eine Grenze zu ziehen und die Entscheidung zu treffen, deine Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Wohin du von hier aus gehst, liegt ganz in deiner Macht.