Verdeckter Narzissmus – 5 Anzeichen, um ihn zu erkennen

Das Thema Narzissmus wird aktuell von der Presse verstärkt aufgegriffen. Diese Entwicklung ist positiv zu sehen: Nur wenn immer mehr Menschen lernen, dass das, was ihnen widerfährt, narzisstischer Missbrauch ist, können sie sich gegen diese Art von Ausbeutung wappnen. Es ist kein Zufall, dass das wachsende Interesse am Thema Narzissmus ins Zeitalter der sozialen Medien fällt, wo offener Narzissmus als Grundvoraussetzung zum Erfolg präsentiert wird. 

Nur selten kommt dabei jedoch eine weniger auffällige Form von Narzissmus zur Sprache. Die Rede ist von verdecktem Narzissmus. Verdeckte Narzissten arbeiten bevorzugt im Verborgenen. Weil sie unauffällig auftreten und eher indirekte Manipulationsmethoden nutzen, sind sie für ihre Zielpersonen nur schwer zu erkennen. Anstatt sich selbst grandios zu überhöhen und dadurch höherwertig zu erscheinen, setzen verdeckte Narzissten vor allem darauf, die Selbstsicherheit ihrer Zielperson zu untergraben, damit diese sich minderwertig fühlt.

Der verdeckte Narzisst verfolgt zwei Ziele:

  1. Kontrolle über Sie zu erlangen.
  2. Ein Ungleichgewicht in der Beziehung zu etablieren, sodass Ihre Bedürfnisse immer zuletzt kommen.

Hierbei achtet er darauf, nicht zu offensichtlich übergriffig zu handeln. Seine Zielperson muss ständig daran zweifeln, ob ihr wirklich Missbrauch widerfährt oder ob sie nur zu empfindlich reagiert und die Dinge falsch interpretiert. In solchen Situationen und Beziehungen erscheint es, oberflächlich betrachtet, meistens als wäre alles in bester Ordnung. In Betroffenen verdichtet sich jedoch die Behandlung, die sie von dem verdeckten Narzissten erfahren, zu einem dunklen, schweren Gefühl der Scham und Minderwertigkeit. 

Ihre Durchsetzungsfähigkeit leidet ebenso wie ihre Fähigkeit, Grenzen zu setzen und Nein zu sagen. Sie beginnen immer häufiger damit, sich in Frage zu stellen und zu bezweifeln, ob sie überhaupt das Recht und den „Wert“ haben, eigene Bedürfnisse zu äußern. Offensichtlich ist ein solches Verhalten selbstzerstörerisch und ungesund. Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Die konstante, subtile Einflussnahme des verdeckten Narzissten ist dafür verantwortlich, dass der Zielperson ihre Selbstsicherheit abhandengekommen ist. Im Folgenden werden fünf Beispiele beschrieben, wie der Narzisst hierbei vorgeht.

Beispiel 1: Er vergleicht Sie mit anderen

Verdeckte Narzissten verwenden gern scheinbar „harmlose“ Vergleiche mit anderen, um in ihrer Zielperson Scham hervorzurufen. Wenn Sie Single sind, wirf der Narzisst im Gespräch mit Ihnen beispielsweise „zufällig“ ein, dass die Tochter seines Nachbarn bereits verlobt ist. Wenn sich das Gespräch um Fitness und Ernährung dreht, kann es sein, dass Ihr narzisstischer Partner laut darüber spricht, wie fit seine Ex-Partnerin war.

Vergleiche wie diese bringen eine Zielperson dazu, sich ständig zu fragen, ob sie „gut genug“ ist. In ihr wächst ein „inneren Kritiker“ heran, der jede ihrer Handlungen bewertet und sie zwingt, sich zu schämen, wenn sie „wieder einmal“ im Vergleich mit anderen zurückfällt. Die Wahrheit ist jedoch: Je mehr wir uns mit anderen vergleichen, desto schlechter fühlen wir uns. 

Während wir einen Vergleich wie „So-und-so hat es geschafft, warum kannst du es nicht auch schaffen?“ vielleicht als übergriffig zurückweisen würden, fällt dies bei verdeckten, scheinbar harmlosen Vergleichen wie „Schau mal, was So-und-so geschafft hat, ist das nicht toll?“ weitaus schwerer. Wir können nicht beweisen, dass der Kommentar als Attacke gegen uns gemeint ist. Vielleicht ist er sogar als „Inspiration“ für uns getarnt. Trotzdem ist das Resultat in beiden Fällen das gleiche: Wir empfinden Scham.

Nun ist Scham nicht in allen Fällen etwas Schlechtes. Gesunde Scham zeigt uns, dass wir ein selbst gesetztes Ziel noch nicht erreicht haben und weiter an uns arbeiten müssen. Jedoch erzeugen ständige Vergleiche toxische Scham, die dafür sorgt, dass wir uns in unserem Kern unfähig vorkommen. Um ihr zu entkommen, müssen wir realisieren: Der einzige, mit dem wir uns vergleichen sollten, ist unser früheres Selbst. So können wir erkennen: Befinden wir uns auf einem Weg, der uns unseren Zielen näherbringt? Jeder Tag ist eine Chance, besser zu sein als gestern und an unserem persönlichen Wachstum zu arbeiten. Was andere tun und wo sie sich auf dem Weg zu ihren Zielen befinden, ist ihre Sache und nicht unsere.

Beispiel 2: Er wertet ab, was Ihnen wichtig ist

Eine Beziehung sollte einen Rahmen bieten, in dem sich alle Beteiligten weiterentwickeln können. Hierfür ist gegenseitige Reflexion ebenso erforderlich wie Einfühlungsvermögen und die Unterstützung des anderen mit Hinblick auf unsere Ziele und Pläne. Dies erfordert, sich Zeit für den anderen zu nehmen, ihn wirklich anzuhören und zu versuchen, den Sachverhalt aus seiner Perspektive zu betrachten.

Wenn Sie zum Beispiel einen tollen Tag beim Wandern in den Bergen hatten, kommen Sie vielleicht zurück nach Hause und erzählen einem geliebten Menschen begeistert davon. Auch wenn dieser nicht dabei war, kann er Ihre Begeisterung aufnehmen und die Situation durch Ihren Bericht „miterleben“. Hierzu lässt sich Ihr Zuhörer auf Ihre Realität ein, lässt Ihre Worte, Ihre Mimik und Ihre Körpersprache auf sich wirken und gibt Ihnen den Raum, um Ihre Erzählung lebendig auszubreiten und mit ihm zu teilen.

Ein verdeckter Narzisst hingegen wird sich weigern, auf Sie einzugehen. Ihre Interessen und was Sie begeistert ist für ihn entweder irrelevant oder ein Ärgernis, das Sie von seinen Bedürfnissen ablenkt. Die Tatsache, dass Sie einen tollen Tag hatten und er nicht, ist für ihn beschämend, da er mit der Tatsache konfrontiert wird, dass Sie es „besser hatten“ als er und noch dazu ohne ihn Spaß haben können. Er kontert diese Gefühle, indem er Ihren Versuch, Ihr schönes Erlebnis mit ihm zu teilen, zurückweist. 

Wenn er Ihnen zuhört, dann mit leerem Blick, ohne auf Sie einzugehen. Vielleicht lässt er auch einen Hinweis fallen, dass erst letztens wieder jemand beim Wandern gestorben ist. Möglicherweise lächelt er herablassend über Ihre Erzählung, was Ihnen das Gefühl vermittelt, dass das, was Ihnen etwas bedeutet, kindisch und dumm ist. Sie spüren, dass sich Ihr Gegenüber nicht für Sie öffnet und dass er Sie mit Ihrer Erfahrung alleinlässt. Ihre Begeisterung verwandelt sich so schnell in Selbsthass und Traurigkeit.

Beispiel 3: Er gibt Ihnen Ratschläge, ohne Sie mit einzubeziehen

Sie äußern dem verdeckten Narzissten gegenüber etwas, bei dem Sie sich unsicher sind oder das Sie belastet. Vielleicht müssen Sie sich zwischen zwei Karrierewegen entscheiden oder haben Probleme mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin. In einer gesunden Beziehung würde sich derjenige, dem Sie sich anvertrauen, versuchen, Sie bestmöglich zu unterstützen. Er würde Ihnen relevante Fragen stellen oder Ihnen Ihre Worte widerspiegeln, um Ihnen zu helfen, genauer zu erkunden, was Sie eigentlich wollen und was für Sie das Beste wäre. Er würde sich in Ihre Lage versetzen, Ihre Gefühle nachvollziehen und versuchen, Ihnen Perspektiven zu eröffnen, die Sie vielleicht noch nicht betrachtet haben.

Der verdeckte Narzisst verfolgt einen völlig anderen Ansatz. Sobald er Ihr Problem gehört hat, „löst“ er es aus seiner Perspektive und liefert Ihnen die „perfekte“ Antwort. Sie haben dabei kein Mitspracherecht, denn seine „Logik“ und Weltsicht sind über jeden Zweifel erhaben. Er verkündet Ihnen unmissverständlich, was Sie zu tun haben und damit ist die Situation für ihn beendet. Anschließend ist es Ihre Schuld, wenn Sie seinem „perfekten“ Vorschlag nicht genauestens folgen. Eine Erkundung und Einbeziehung Ihrer Gefühle, Perspektiven und Bedenken findet nicht statt. Die Lösung des verdeckten Narzissten ist ein reiner Monolog. Sein Ego klammert sich an diesen einen Vorschlag und lässt keine Hinterfragung zu. Hierdurch fühlen Sie sich überfahren, ohnmächtig und hilflos. 

Vielleicht nicken Sie widerwillig, murmeln ein Dankeschön oder behaupten, dass Sie die Sache jetzt klarer sehen. In Wirklichkeit haben Sie mehr Zweifel denn je. Der Grund liegt darin, dass eine Lösung, die allein auf der Perspektive eines anderen basiert, für Sie vollkommen nutzlos ist. Nur wenn Ihr Wahres Selbst in den Prozess mit einbezogen wird, können Sie gute Entscheidungen für Ihr Leben treffen. Erst dann können Ihre verstandsbasierte Logik und Ihr Ego den besten Weg ableiten, den Sie gehen müssen, um ans Ziel zu kommen. Ein verdeckter Narzisst „kapert“ hingegen den gesamten Prozess und zwingt Sie, ihm an einen Ort zu folgen, an den Sie niemals gehen wollten. Indem er Ihre einzigartige Lebenserfahrung ignoriert, ist er nicht nur keine Hilfe, sondern schadet aktiv Ihrem Wachstum.

Beispiel 4: Er überwältigt Sie im Gespräch

Gespräche sind dazu da, sich auszutauschen und einander zuzuhören. Im beruflichen oder geschäftlichen Kontext wird ein bestimmtes Ziel verfolgt, wie beispielsweise eine Problemlösung oder ein Geschäftsabschluss. Im privaten Raum, beispielsweise unter Freunden oder zwischen Fremden auf einer Feier, ist der Austausch offener. Hier geht es um die Erkundung gemeinsamer Themen und die Pflege oder den Aufbau einer Beziehung. 

In jedem Fall sollten Sie auf den Subtext unter der Oberfläche achten. Welche Botschaften werden nicht offen ausgesprochen aber angedeutet? Wohin will ich das Gespräch führen, wohin der andere? Was hat jeder von uns von dem Austausch? Es sind immer beide Beteiligten, die das Gespräch gemeinsam entwickeln und die Anliegen des anderen berücksichtigen.

Ein verdeckter Narzisst hat an solchen Dingen kein Interesse. Er will kein Gleichgewicht und keinen Ausgleich, sondern den Gesprächsfluss jederzeit kontrollieren. Er steigert beispielsweise die Intensität seiner Worte, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen oder erlaubt sich sehr viel höhere Redeanteile, um den Ton oder die Richtung zu bestimmen. Oft fühlt sich das Gespräch mit ihm nach einer Weile wie ein Monolog an. Sie spüren, dass Sie sich jeden Ihrer Beiträge gegen Widerstand erkämpfen müssen. 

Vielleicht reagieren Sie, indem Sie ebenfalls die Intensität erhöhen und mit etwas herausplatzen oder lauter reden. Ein verdeckter Narzisst wird wahrscheinlich reagieren, indem er einen Augenblick lang nachgibt, aber deutlich zeigt, dass sein Interesse an dem Gespräch mit Ihnen nachlässt, wenn er Ihnen folgen muss. Hierdurch verliert das Gespräch an Schwung. Tritt eine Pause ein, nutzt sie der Narzisst, um wieder zu seinem Monolog zurückzukehren. Das alles dient dazu, Ihre Aufmerksamkeit ganz auf ihn zu lenken und Sie zu zwingen, sich mit dem zu beschäftigen, was ihm wichtig ist.

Insofern kommt keine gemeinsame Verbindung zustande. Der Narzisst sieht in Ihnen nur ein passives Objekt für seine Selbstversicherung. In den meisten Fällen besteht die beste Strategie daher darin, sich das Gespräch mit einem verdeckten Narzissten zu ersparen, sobald man erkannt hat, welche Art Mensch man vor sich hat.

Beispiel 5: Schweigen, um Sie auf Linie zu halten

Ein Schweigen kann leicht als harmlos abgetan werden, da wortwörtlich nichts gesagt oder getan wird. Dabei kann eine ausbleibende Reaktion manchmal mehr verletzten als ein Angriff oder eine Beleidigung. Angenommen, wir unterbreiten jemandem einen Vorschlag, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Vielleicht schlagen wir ihm auch etwas vor, das uns wichtig ist und bei dem wir gerne seine Hilfe oder Unterstützung hätten. 

In einer gesunden Beziehung hätte unser Gegenüber in diesem Fall viele Möglichkeiten, um zu reagieren. Er könnte sich Bedenkzeit erbeten, einen Gegenvorschlag machen oder uns erklären, warum ihm unser Vorschlag nicht gefällt. In jedem Fall würde er jedoch kommunizieren. Indem er uns antwortet, signalisiert er uns, dass er nicht nur seine eigenen Bedürfnisse, sondern auch unsere und seine Beziehung zu uns ernst nimmt. Zu schweigen, wenn er uns etwas Unangenehmes mitzuteilen hat oder uns widersprechen muss, ist für ihn und uns vielleicht kurzfristig unangenehm, aber langfristig die einzige Lösung, um die Beziehung zu erhalten.

Ein Narzisst betrachtet ehrliche und verletzliche Kommunikation hingegen als Bedrohung für sein innerstes Wesen. Er will keine unangenehmen Gefühle spüren, sich rechtfertigen oder Kompromisse eingehen. Daher reagiert er auf Situationen, die ihm nicht passen, indem er einfach untertaucht. Er antwortet nicht auf Ihre Textnachricht, würdigt in keiner Weise, dass Ihre Kommunikation je stattgefunden hat und unternimmt keinen Versuch einer Klärung. Er hört nicht zu und diskutiert nicht. Stattdessen lenkt er vom Thema ab, stellt sich taub oder verschwindet ganz, um abzuwarten, bis sich die Situation „von selbst“ erledigt hat; in anderen Worten, bis Sie die Geduld verlieren und es aufgeben, ihn auf eine Antwort festzunageln.

Da der verdeckte Narzisst sich weigert, das Thema, das Ihnen wichtig ist, anzuerkennen, bleiben Sie mit Ihrer „Last“ alleine und müssen allen Schmerz und alle Verwirrung Ihrer einseitigen Beziehung selbst und ohne seine Hilfe tragen. Zwar bauen sich in Ihnen Wut und Widerwille auf, doch da der Narzisst auf Ihre Kommunikation nicht reagiert, bleibt Ihnen nichts anderes übrig als sie herunterzuschlucken. Hierdurch werden Sie dazu konditioniert, Ihre Bedürfnisse zu unterdrücken und sich von dem verdeckten Narzissten die Bedingungen für Ihre Beziehung diktieren zu lassen.

Weitere Beispiele für verdeckten narzisstischen Missbrauch und für den Beginn der Heilung von einer narzisstischen Beziehung finden Sie in „Sieg über Narzissmus“ und „Neuanfang nach Narzissmus.“